Depesche 5-2021
„Bio-Revolution: Sind wir bereit für die Landwirtschaft von morgen?“
Wir verstehen uns als Ihr Seismograph für Eigentumsbelange, der bei dem Stichwort „Bio-Revolution“ sofort Alarm schlug!
Über das aus der Verschmelzung von Biologie, Lebenswissenschaften und Digitalisierung hervorgehende Innovationspotenzial, ist gestern (21.06.) unter dem Titel „Die Bio-Revolution durch Nachhaltigkeit und Effizienz vorantreiben: Sind wir bereit für die Landwirtschaft von morgen?“ mit ausgewiesenen Experten virtuell diskutiert worden. Organisiert war die Veranstaltung von der Friedrich-Naumann-Stiftung. Doch nicht erst seit dem Chemienobelpreis 2020 für die Entwicklung einer Methode zur Genom-Editierung werden auch in der Pflanzenzüchtung weltweit neue Wege gegangen. Wir wollten wissen, worauf wir bei Betrachtung der wichtigsten globalen Herausforderungen in der Landwirtschaft zusteuern und wollen berichten:
Zunächst: Neue Züchtungsmethoden zielen darauf ab, Nutzpflanzen resilienter gegen die Auswirkungen des Klimawandels, wie Extremwettereignisse oder Dürren, und damit ertragssicherer zu machen. Ein Transformationsprozess der sowohl Chancen als auch Risiken in sich birgt, klare Rahmenbedingungen und einen breit angelegten gesellschaftlichen Dialog fordert. Allerdings ist der rechtliche Status in der Europäischen Union noch ungeklärt. Wie weit ist der Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland und sind die Ampeln tatsächlich auf Fortschritt geschalten?
Prof. Dr. Urs Niggli ist Agrarwissenschaftler und die EU-Kommission im Rahmen der Festschreibung der Farm-to-Fork-Strategie beraten. Seiner Ansicht nach brauche es eine suffiziente Ernährungsweise, die verstärkt auf den Verzehr pflanzlicher Proteine, einen geringeren Fleischkonsum, kein „Food Waste“ und vor allem auf eine vernünftigeren Umgang mit Lebensmitteln setzt. Gelingen könne dies nur unter Anwendung guter Technologien, ergänzt um eine nachhaltige Anbauweise. Dieser Ansatz solle das Ernährungs-, Biodiversitäts-, Bodenfruchtbarkeits- und Umweltproblem lösen.
Dr. Birgitt Walz-Tylla ist promovierte Diplom-Lebensmittel-Ingenieurin und in der Division CropScience der Bayer AG tätig. Nach unserer Empfindung hat die Bayer AG hier natürlich im eigenen Interesse schon einmal „vorgebohrt“, denn die Methoden befinden sich noch in der Entwicklungsphase. Bayer arbeite an einer Entwicklungsmethode, die darauf abzielt einen Mais kürzer zu halten, dadurch stabiler und resistenter bei Extremwetterereignissen. Dr. Walz-Tylla vertrat die Ansicht, dass ein ernährungsphysiologischer Mehrwert durch die Beschreitung zweier Richtungen erzielt werden könne:
Richtung 1 – Den Herausforderungen des Klimawandels gilt es durch geeignete Züchtungsmethoden entgegenzusetzen.
Richtung 2 – Das Potenzial von Ernährungs- und Gesundheitsfragen, z. B. Züchtungen mit günstigerem Fettsäuregehalt, müsse ausgeschöpft werden.
Die Pflanzensamen müssen in der Folgegeneration allerdings immer wieder neu eingesät werden.
Dr. Volker Wissing, promovierter Jurist und seit September 2020 Generalsekretär der Freien Demokraten, ergänzte, dass die Politik zunächst einmal erkennen muss, dass zu regulieren sei. Jedoch nicht in dem Maße, dass solche „neuen Methoden“ verboten, sondern vielmehr ermöglicht werden. Dr. Wissing sehe hierin vor allem Chancen. Es gebe viele Missverständnisse über das, was mit ökologischer Landwirtschaft möglich ist und worin ihre Grenzen liegen. Natürlich haben wir es im Bereich der ökologischen Landwirtschaft mit einer ganzen Reihe von Schädlingen und auch Erkrankungen bei Pflanzen (Virenbefall bei Zuckerrüben oder Pilzkrankheiten im Weinbau) zu tun, die eben nicht ohne Weiteres in den Griff zu bekommen seien. Im Grunde genommen gibt es im Ökolandbau keine wirkliche Antwort auf solche Erkrankungen. Vor diesem Hintergrund werde eine Weiterentwicklung benötigt. Mit den herkömmlichen Methoden haben wir keine Perspektiven, die Landwirtschaft bei uns zukunftsfähig zu gestalten. Die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft seien die teuersten, die wir in Deutschland haben. Gerade in diesem Bereich könne man nicht „vielleicht“ eine Ernte haben und damit „vielleicht“ ein positives Betriebsergebnis, sondern man MUSS es haben. Eben weil dieser Sektor das höchste Investitionspotenzial aufweist. Die Gewinnmargen allerdings seien gering. Vor diesem Hintergrund müsse der Blick immer auf die Effizienz gerichtet sein. Diese Effizienz dürfe aber auch nicht zum Nachteil natürlicher Ressourcen sein.
Die Politik sei in der Verpflichtung die gesetzlichen Grundlagen zu modernisieren und vor allem zu entbürokratisieren. Negative Auswirkungen müssen selbstverständlich kontrolliert werden. Gleichzeitig ist aber auch ein ermöglichender Staat gefordert. Wir müssen uns klar machen, dass es einen gewissen Markt für biologische Produkte gibt, der in einem bestimmten Rahmen funktioniere – im Ergebnis aber nur eingeschränkt. Es ist eben nicht so, dass im Ökologischen Landbau keine chemischen Pflanzenschutzmittel angewendet werden. Man könne die „Kirschenessigfliege“ im Weinbau nicht wegdiskutieren. Die Frage ist doch: Kommen wir durch stärkere Widerstandsfähigkeit bei Pflanzen und angewandte Biotechnologie an einen Punkt, an dem wir sowohl im konventionellen wie auch ökologischen Bereich auf derartige Pflanzenschutzmittel verzichten können? Diese Herausforderungen sind durch den Klimawandel und die Globalisierung nur noch verstärkt worden.
Prof. Ulrich Schurr hat Funktionen in Pflanzenwissenschaften, Bioökonomie, Innovationsmaßnahmen und Wissenschaftspolitik und ist weltweit in Funktionen in Wissenschaft und Innovation tätig. Für eine klimaresiliente Landwirtschaft müsse man die Pflanze im System begreifen. Die Ausbildung von Wurzelsystemen sei in Bezug auf die Stickstoffproduktion bisher viel zu wenig adressiert worden. Eine Bio-Revolution könne nur im Kontext aller Elemente funktionieren: Indem auf vorhandener Agrarfläche effektiv produziert und in Forschung und Entwicklung investiert werde.
Doch was sind die Auswirkungen dieser Methoden auf die Biodiversität? Jede Landwirtschaftliche Maßnahme habe Einfluss auf Biodiversität. Je intensiver wir wirtschaften, desto mehr Arten gehen verloren. Auch neue Züchtungen werden mit ihren Eigenschaften die Diversität verändern, wobei der negativen Effekt auf die Biodiversität hier am geringsten sei. Unser Grund und Boden ist keine vermehrbare Ressource. Wir können diese enorme Knappheit nur mit Innovation und Tradition lösen, so Prof. Dr. Urs Niggli.
Prof. Dr. Uli Schurr ergänzt, auch Nachhaltigkeit spiele sich immer im System ab. Einer einzelnen Maßnahme könne man keine negativen Auswirkungen anlasten. Die Technologie an sich sei nicht das Problem, sondern die Art und Weise, wie wir sie einsetzen. Gefordert sei hier ein Abgleich zwischen „Benefit“ und „Risk“. Die Politik sei gefragt, Optionen zu schaffen, die tatsächlich umsetzungsfähig sind. Ein Problem ist, dass Landwirtschaft, wie sie heute funktioniert, für viele Konsumenten weit weg ist. Das Rückkoppeln zu den Problemen des ländlichen Raumes kenne viele nicht mehr. Wir müssen die Gesellschaft dort abholen, wo sie aktuelle steht und das ist nicht mehr auf dem Land.
Sofern Probleme im Alltag spürbar werden, dann werde Technologie auch als Lösung und die Landwirtschaft als Teil dessen wieder wertgeschätzt.
Für uns steht fest, dass wir mit diesen Entwicklungen erst ganz am Anfang stehen. Derartige Technologien nicht einzusetzen, ist auch eine Handlung. Doch wäre unsere Landwirtschaft dann zukunftsfähig? Die Bio-Revolution kann zweifelsfrei Potenziale verwirklichen, am Ende aber nur Hand in Hand mit den im Bereich der Landwirtschaft Tätigen gelingen.
Diese Seite ist geschützt.